16. Juli 2005
VON TIM BIRKNER
LICHTENFELS - Ein Tuscheln geht durch die Reihen der Trauernden: "Allmächt, eine Frau" und obendrein noch "eine Evangelische". So hat es die evangelische Pfarrerin Anne Salzbrenner vor zehn Jahren erlebt. Am 1. Juli 1995 kam sie nach Lichtenfels. Sie wurde gesandt - und war über das Ziel begeistert. "Lichtenfels war mein Traum."
Ihr Großvater Georg Seiß, den sie nie kennen lernte, war Pfarrer in Schney. Ihre Eltern wohnen im Itzgrund. Anne Salzbrenner kannte und liebte die Gegend und wusste, das solche familiären Gründe eigentlich gegen die Pfarrstelle für sie sprechen würden.
"Viele waren vor zehn Jahren sehr reserviert gegenüber einer Frau im Amt", erinnert sich Salzbrenner. Die herzlichste Begrüßung kam damals vom katholischen Frauenbund. "Manche dachten, wenn ich kam, es käme die Frau des Pfarrers; der echte Pfarrer kommt noch."
Die Fragezeichen sind weitgehend verschwunden. Heute ist sie "die Anne". Das zeige die nahe Beziehung der Menschen zu ihrer Pfarrerin, meint Salzbrenner: "Mich freut das, denn die Menschen sagen Anne und haben trotzdem Respekt vor meinem Amt."
Der Weg von der Frau Pfarrerin zur Anne war geprägt von Zufällen, schwerer Krankheit und einem starken Kirchenvorstand. Die Pfarrerin war gerade fünf Jahre im Amt, da verließ Klaus Weber die erste Pfarrstelle. "Normalerweise sitzt man zehn bis 15 Jahre auf einer zweiten Pfarrstelle, bevor man Erster wird." Nun stand sie vor der Entscheidung: Soll ich mich bewerben? Traue ich mir das zu? "Kirchenvorstand und Dekan haben mich dazu ermuntert." Zur Gemeindearbeit kam viel Geschäftsführung, viel Verantwortung: für den Haushalt, für die Mitarbeiter, für den Kindergarten, für das Kirchenjubiläum und viele Baumaßnahmen.
"Viele haben mir das nicht zugetraut", erinnert sich Salzbrenner. "Über mich hat man sich weit mehr Gedanken gemacht, als man sich über einen Mann gemacht hätte." Weil sie nicht verheiratet ist, glaubten manche, sie hätte etwas gegen Männer - oder sie haben ihr gleich Verhältnisse angedichtet.
Kaum war Salzbrenner erste Pfarrerin, musste sie für sieben Wochen ins Krankenhaus. "Als ich wieder kam, wusste ich: Ich bin geschwächt. Ich biete Angriffsfläche." Und sie überlegte, aufzugeben.
Anne Salzbrenner ging aus ihrer Krise gestärkt hervor. Sie schaut an die Decke und überlegt: "Ich bin selbstbewusster geworden, in Manchem auch souveräner." Sie sei an den Anforderungen gewachsen. So oft es geht, bindet sie den Kirchenvorstand in die Entscheidungen mit ein. So sehe es die Kirchenordnung eigentlich vor, doch in der Praxis sei es immer noch die Ausnahme. "Der Kirchenvorstand leitet die Gemeinde", das erleben die Mitglieder des Gremiums in Lichtenfels. "Bei mir hat der Kirchenvorstand kein ruhiges Leben", sagt Salzbrenner. Beispiel Mobilfunk: Hier entschied das Gremium mehrheitlich, sich der Bürgerinitiative, die das Volksbegehren unterstützt, anzuschließen. Sie geht zusammen mit dem Kirchenvorstand eigene Wege. Als der Etat gekürzt wurde, haben viele Gemeinden anteilig die Stellen ihrer Mitarbeiter gekürzt. Das kommt für Anne Salzbrenner nicht in Frage. "Ich habe eine Verantwortung für meine Mitarbeiter. Wenn ich weniger Geld bekomme, muss ich eben mehr Spenden einsammeln." Bisher hat das immer geklappt.
Anne Salzbrenner hat vieles in ihrer Gemeinde und in Lichtenfels verändert. Doch zehn Jahre im Amt haben auch sie selbst verändert. "Ich nehme Licht und Schatten meiner Position heute stärker wahr", überlegt die Pfarrerin. Dabei lacht sie nicht so laut, wie sie das sonst gerne tut. Sie wirkt ruhig und sehr nachdenklich. Wie genüge ich meinen eigenen Ansprüchen als Christin? Wie gelingt es mir nicht mit den Wölfen zu heulen? Oft setzt sie sich alleine in ihre Kirche. Kehrt in sich.
"In meinem Freundeskreis, bei meiner Ausbildung zur Supervisorin finde ich wieder zu mir", sagt sie. Ihr Privatleben ist auf ein Minimum reduziert. Die Offenheit, mit der ihr die Menschen begegnen und mit der sie den Menschen begegnet, kostet Zeit. So sitzt sie oft nachts am Schreibtisch, arbeitet an Rundbriefen oder Predigten, erledigt die Verwaltung. "Das muss erst mal ein Mann mitmachen: Ein Leben auf dem Präsentierteller, das ständige Warten auf seine Frau", denkt sie laut darüber nach, worüber in Lichtenfels gesprochen wird. Die Fragezeichen der Menschen sind auch ihre Fragezeichen. "Manchmal staune ich, was ich alles schaffe", da lacht sie wieder laut.
Heute kommen die Menschen zu ihrer Anne und sagen: "Schön, dass Sie meine Frau beerdigen." Anne Salzbrenner findet offene Türen auch bei katholischen Christen. "Das war nicht immer so. Diese Offenheit der Menschen ist für mich das Labsal."