12. Mai 2007
VON CHRISTA BURKHARDT
Am Sonntag (13. Mai) ist Muttertag. Väter legen Schokoladenherzen auf Kopfkissen, die Kinder schenken Selbstgekritzeltes oder im Kindergarten Gebasteltes und sagen ?danke, Mama?. Einmal im Jahr ist Muttertag. Nur für eine Mutter ist jeder Tag Muttertag, 365 Tage im Jahr, schlaflose Nächte eingeschlossen. Wie leben Mütter an all diesen anderen Muttertagen? Und was würde Müttern wirklich helfen?
Wenn im Hause Jennes in Watzendorf das Telefon klingelt, kann der ganze Tag durcheinander kommen. Denn der ist minutiös geplant. Alles Unvorhergesehene, jede kleine Abweichung kann enorme Folgen haben. ?Pfusch? mir bloß keiner in meinen Ablauf?, ist Ramona Jennes? wichtigster Appell an Verwandte, Freunde und alle anderen Besucher.
Am Sonntag ist Ramona Jennes? sechster Muttertag. Das vergessen viele Leute gern. Sehr zu Tochter Leonies Leidwesen. ?Jeder fragt immer nur nach den Babies?, klagt die Sechsjährige manchmal. Denn Romy, Emilia, Felix und Fabrizio sind prominent. Vierlinge nämlich, und vergangene Woche ein Jahr alt geworden.
Ein turbulentes Jahr, vor allem für Mutter Ramona. 365 Tage, von denen sie nicht so recht weiß, wo sie eigentlich geblieben sind, soviel gab es zu wickeln, zu füttern, zu streicheln, zu trösten, zu organisieren und nicht zuletzt zu sorgen. Sowohl für einen Sieben-Personen-Haushalt auch als um die Gesundheit der früh geborenen Vierlinge. An Schlaf war kaum zu denken, Ruhepausen hatten Seltenheitswert.
?Ich habe ständig ein schlechtes Gewissen, denn irgendetwas und vor allem eines oder mehrere der Kinder kommen immer zu kurz?, sagt sie. Romy, die kleinste der Vierlinge, kam erst mit vier Monaten aus der Klinik nach Hause. ?Da war unser Leben so zerrissen. Kaum fuhr ich zu ihr in die Klinik, mussten die anderen drei ohne Mama bleiben?, erinnert sie sich an die schwierige erste Zeit.
Erst vor wenigen Wochen musste Felix noch einmal ins Krankenhaus. ?Er hat mir unendlich leid getan, aber ich konnte nicht Tag und Nacht bei ihm bleiben.? Dinge, die für Mütter mit einem elfmonatigen Kind selbstverständlich sind, nämlich sich bei einem Krankenhausaufenthalt mit aufnehmen zu lassen, sind mit fünf Kindern einfach nicht möglich.
Und auch die Geschwistersituation ist nicht immer leicht. Vierlinge hin oder her: Einmal in der Woche ist Leonie-Tag. Schließlich braucht auch eine Sechsjährige ihre Mama mal ganz für sich allein.
Das klingt anstrengend. Das klingt nach viel Arbeit. Das klingt wenig erstrebenswert. ?Ich bin gern Mutter?, sagt Ramona Jennes. ?Das Lachen der Kinder gibt mir soviel. Ich wollte nicht nur ein Kind. Und wenn ich noch einmal die Wahl hätte, würde ich mich wieder so entscheiden.?
?So?, das bedeutet gegen die Abtreibung von bis zu dreien der Kinder, die zu Beginn der Mehrlingsschwangerschaft möglich gewesen wäre. ?So?, das bedeutet für beengte Wohnverhältnisse und ein knappes Familienbudget.
?So?, das bedeutet für ebenso ungeahnte wie unüberwindliche Schwierigkeiten im täglichen Leben. ?Beim Arztbesuch muss ich das Parkhaus in Coburg mit dem Drillingswagen und einem Kind im Tragetuch über die Auffahrtsrampen verlassen. Auf den Mutter-Kind-Parkplätzen, wenn es denn welche gibt, parken meistens Autos, in denen nicht mal Kindersitze montiert sind?, weiß sie aus Erfahrung. Ganz zu schweigen vom Abenteuer Einkauf bei zugeparkten Gehsteigen.
Und ?so?, bedeutet nicht zuletzt eine Entscheidung für die soziale Isolation. ?Wollt ihr uns wirklich einladen, frag? ich manchmal ernsthaft nach. Wenn wir kommen, ist die Bude sofort voll?, ist Ramona Jennes immer wieder hin und hergerissen zwischen dem Kontakt mit anderen, dem ganz normalen Leben ?draußen? und der Frage, wieviel Familie anderen zuzumuten ist.
?Unsere Familie ist eine gut organisierte und funktionierende kleine, laute Welt, in der es oft auch sehr lustig zugeht. Eine schöne und Nerven aufreibende Welt. Aber wir passen irgendwie nicht mehr so richtig in die große Welt?, sagt Mutter Ramona Jennes.
Das bestätigt auch Bianca Oelschlegel. Die 25-Jährige aus Scherneck hat vier Kinder und begeht morgen ihren fünften Muttertag. ?Mein Mann wollte zwei Kinder, und ich wollte auch zwei Kinder, und irgendwie haben wir uns da wohl missverstanden?, lacht die Mutter von Lea (knapp 5), Tim (zweidreiviertel), Pia (16 Monate) und Max (6 Monate).
Gegen den oft sehr hohen Geräuschpegel müsse man abstumpfen und sich einfach von nichts aus der Ruhe bringen lassen. Das sei freilich manchmal schwierig, aber viel mehr als anstrengend sei es ?eine Bereicherung?.
?Es gibt viele Dinge, die mich früher, ohne Kinder, gestört hätten oder die ein Riesenproblem waren?, sagt Bianca Oelschlegel. ?Dank der Kinder nehme ich viele Kleinigkeiten nicht mehr so wichtig und gehe mit einem ganz anderen Blick durch die Welt. Ich glaube, ich lerne mehr von den Kindern als sie von mir.?
Auch die fünf Oelschlegels sind eine turbulente, aber gut organisierte Truppe. Der ganze Tagesablauf ist durchgeplant, alles Unvorhergesehene ?führt sofort ins Chaos?. Abends wird der Frühstückstisch gedeckt, ?denn hungrige Kinder wollen nicht warten?.
Nur aus dem Haus geht Bianca Oelschlegel mit ihren Kindern nicht gern. ?Wir sind anstrengend für die meisten. Die Leute wollen ihre Ruhe haben und schauen oft genervt auf uns.? Aber das sei noch nicht das Schlimmste: ?Am meisten ärgern mich diese mitleidigen Blicke und diese vorwurfsvollen Gesichter so nach dem Motto ?Wie kann man denn heutzutage noch so viele Kinder kriegen?? Man kann, und Muttersein ist nicht nur anstrengend, sondern auch wunderschön. Ich würde jedes meiner Kinder wieder kriegen.?
Nur in seltenen Momenten, zum Beispiel wenn alle gleichzeitig krank sind oder eines weint, eines zickt, eines Hunger hat und eines quengelt, ?dann wünsche ich mir eine einsame Insel - aber nur ganz kurz?. Die Kinder wachsen miteinander auf und haben durch den geringen Altersunterschied als Geschwister viel voneinander.
Besonders für den kleinen autistischen Tim ist die große Familie ein Plus. ?Die Diagnose wurde erst gestellt, da war ich schon mit Pia schwanger, und das war gut so. Gerade behinderte Kinder brauchen doch ihre Familie und möglichst viel normalen Umgang. Den hat Tim hier reichlich.?
Und einen Weg aus der sozialen Isolation weiß Bianca Oelschlegel auch: ?Ich wünsche mir, dass wieder mehr Leute viele Kinder kriegen. Dann wäre so ein Leben wie unseres alltäglicher, und wir könnten es noch viel mehr genießen. Auch draußen in der ?richtigen? Welt.?